34, Selen (Se)

Selenium, gr. selene = Mond

Das Element Selen:

         
  P S Cl  
  As Se Br  
  Sb Te I  
         
 
   
   
   
   
   
   
   
Natürliche Entstehung von Selen (Nukleosynthese): Selen wird primordial mit sechs stabilen bzw. äußerst langlebigen Isotopen infolge von s-, r- und γ-Prozessen gebildet. Die Hälfte aller natürlich vorkommenden Se-Kerne sind Se-80 (49,61%), knapp ein Viertel Se-78 (23,77%), gefolgt von Se-76 (9,37%) und Se-82 (8,73%). Das stabile Nuklid Se-77 hat ungerade Neutronenzahl, und ist erwartungsgemäß seltener als die Se-Isotope mit geraden Neutronenzahlen (7,63%). Selten entsteht Se-74 infolge von Gamma-Prozessen aus Ge-74 heraus (0,89%).

Die Selen-Synthese:
74Se-Synthese:
(γ-Prozess)

74Ge + 1,21 MeV → 74Se + 2β-

76Se-Synthese:
(nur s-Prozess)

75As + n → 76Se + β- + 10,29 MeV

77Se-Synthese:
(s- oder r-Prozess)

76Se + n → 77Se + 7,42 MeV

56Fe + 21n → 77Se + 8β- + 183 MeV

78Se-Synthese:
(s- oder r-Prozess)

77Se + n → 78Se + 10,50 MeV

56Fe + 22n → 78Se + 8β- + 194 MeV

80Se-Synthese:
(s- oder r-Prozess)

78Se + 2n → 80Se + 16,88 MeV

56Fe + 24n → 80Se + 8β- + 211 MeV

82Se-Synthese:
(s- oder r-Prozess)

80Se + 2n → 82Se + 15,98 MeV

56Fe + 26n → 82Se + 8β- + 227 MeV


Die beiden Isotope Se-74 und Se-82 weisen eine schwache Radioaktivität auf: Se-74 zerfällt unter Doppeltem Elektroneneinfang mit einer Halbwertszeit von 5,5•1015 Jahren zu Ge-74; Se-82 durch Doppelte Beta(-)-Emmission mit einer Halbwertszeit von 9,1•1019 Jahren zu Kr-82. Die dadurch resultierende Aktivität von rd. 4,4•10-4 Bq/kg ist im Umgang mit dem Element bedeutungslos (sie ist rd. 70 Mio. mal schwächer als die von natürlich zusammengesetzten Kaliums im Vergleich).
Vorkommen von Selen: Im Universum kommt Selen mit durchschnittlich 30 μg/kg in der Materie vor (Rang 31). Irdisch ist es infolge seiner hohen Affinität zu den Übergangsmetallen, insbesondere jenen, die maßgeblich am Aufbau des Erdkerns (Eisen, Nickel) beteiligt sind, angereichert worden. Am Gesamtaufbau der Erde hat das Element daher einen Anteil von 9,6 mg/kg (Rang 25), in der Erdkruste findet es sich mit durchschnittlich 50 μg/kg jedoch relativ selten (Rang 69).

Anorganisches Selen: Ähnlich, wie das benachbarte Brom als stetige Beimengung des Chlors in der Natur vorkommt, so findet sich auch ein Großteil des Selens als Begleiter seines leichteren Homologen Schwefel. Eigenständige Selenmineralien sind sehr selten; sie bilden ausnahmslos lückenlose Mischungsreihen mit den entsprechenden Sulfiden. Dem Galenit (PbS) entspricht der selten vorkommende Clausthalit (PbSe), welcher gleiche Kristallstruktur und Erscheinung hat. Dem Zinnober (HgS) ist der Tiemannit (HgSe) vergleichbar, der gleich dem Clausthalit sehr selten ist. Naumannit (Silberselenid) ist dem Akanthit (Silbersulfid) analog. Sehr selten kommt das Element auch gediegen in der Form von grauem Selen, oder in als Selenschwefel zusammen mit dem Schwefel vor. Daneben findet sich Selen auch in Form von Selenwasserstoff in vulkanischen Gasen, sowie als Selenit im Meerwasser gelöst (0,33 μg SeO32- pro Liter Meerwasser durchschnittlich).

Selen in der belebten Natur: Manche Pflanzen können Selen stark anreichern. Die Mitglieder der südamerikanische Pflanzengattung Lecythis, zu denen auch die Paranuss gehört, sind regelrechte Selenakkumulatoren: So enthalten Paranüsse durchschnittlich fast 20 mg/kg Selen, die mit ihr verwandte, nur wildwachsende Paradiesnuss sogar den zehnfachen (!) Wert (bis zu 220 mg/kg Se). Selenocystein ist eine essentielle, selenhaltige Aminosäure.

Wichtige Selenvorkommen

Clausthalit[1]
PbSe

Tiemannit[1]
HgSe

Weltmeere[3]

Paranusskerne[2]
Bertholletia excelsa


Selen-Gewinnung: Aus Röstgasen: Beim Rösten sulfidischer Erze geht der Selen- und Telluranteil oxidisch in den Flugstaub über. Aus diesem kann es, durch Auslaugen mit Natronlauge und anschließender Reduktion der Selenit-Lauge mit Sulfit (unter Ansäuern mit Schwefelsäure) elementares, rotes Selen gewonnen werden.

Aus Anodenschlamm: Selen wird industriell aus den Anodenschlämmen der Kupfer- und Nickelherstellung gewonnen: Hierzu werden die getrockneten Schlämme oxidativ mit Kaliumnitrat und Natriumcarbonat geröstet, wobei die Selenide (hauptsächlich Kupfer-, Silber- und Goldselenid) zu Seleniten oxidiert werden. Das ebenfalls vorhandene Tellur wird analog dazu zu Tellurit (TeO32-) oxidiert. Beim anschließenden Lösen dieses Aufschlusses in Schwefelsäure fällt jedoch Tellurdioxid aus, während die Selenite zu Seleniger Säure protoniert werden. Diese wird dann mit Schwefel(IV)oxid reduziert. Dabei fällt rotes Selen aus.

Reaktionen zur Selen-Gewinnung:

a) Oxidatives Rösten (Anodenschlammes, sulfidische Erze):
Ag2Se + Na2CO3 + O2 → Na2SeO3 + 2Ag + CO2

b) Reaktion der Selenite mit Schwefelsäure:
Na2SeO3 + H2SO4 → H2SeO3 + Na2SO4

c) Reduktion mit Schwefel(IV)oxid:
H2SeO3 + 2 SO2 + H2O → 2 H2SO4 + Se↓



Das auf diese Weise gewonnene (rote) Selen wird zunächst durch eine Vakuumdestillation gereinigt. Hierbei verbleiben evtl. Spuren an übergegangenem Tellur oder Arsen in der Vorlage zurück. Durch Erwärmen unter den Schmelzpunkt wandelt sich das rote (nichtmetallische) Selen in die graue, halbmetallische Modifikation um.

Reindarstellung von Selen

Rotes Selen[4]

Darstellung von Selen[2]

Graues Selen[2]


Chemie von Selen: Selen hat die Elektronenkonfiguration [Ar] 4s23d104p4. Erwartungsgemä&szig; sind Selenverbindungen in der Oxidationsstufe +6 stärkere Oxidationsmittel als analoge Schwefelverbindungen, Selenverbindungen in der Stufe +4 schwächere Reduktionsmittel. Markanterweise lässt sich elementares Selen auch durch Reduktion von Selen(IV)oxid mit Schwefel(IV)oxid gewinnen.

Verhalten gegenüber Luft. Bei Raumtemperatur ist Selen an der Luft vollkommen beständig, beim Erhitzen auf Schmelztemperatur (220°C) entzündet sich das Halbmetall unter Verbrennung zu Selen(IV)oxid. Selen(VI)oxid lässt sich nicht durch Verbrennung, sondern durch Oxidation von Seleniger Säure und anschließende Entwässerung der entstandenen Selensäure erhalten.

Se + O2 → SeO2 + 225,4 kJ

Verhalten gegenüber Wasser, Säuren und Laugen. Gegenüber Wasser und Wasserdampf ist Selen beständig. In nichtoxidierenden Säuren, wie Salzsäure oder verdünnter Schwefelsäure reagiert Selen ebenfalls nicht. Von oxidierenden Säuren (Salpetersäure, Chlorsäure, konz. Schwefelsäure) wird Selen zu Seleniger Säure oxidiert, die Stufe der Selensäure wird hierdurch allerdings nicht erreicht.

Reaktionen mit Halogenen. Elementares Fluor vermag Selen zu Selen(VI)fluorid zu oxidieren - dieses ist etwas reaktionsfreudiger als Schwefelhexafluorid. So ist es zwar bei Raumtemperatur gegenüber Wasser ohne Hydrolyse beständig, es reagiert jedoch oberhalb 200°C mit Ammoniak zu Stickstoff, Selentetrafluorid und Fluorwasserstoff. Durch Reaktion von Chlor bzw. Brom werden bei energetischer Anregung (Wärme, Elektrizität) Selen(IV)chlorid bzw. -bromid erhalten. Ein Selen(IV)iodid existiert hingegen nicht.

Reaktion mit Wasserstoff. Oberhalb von 400°C reagiert elementares Selen in endothermer Reaktion mit Wasserstoff zu dem knoblauchartig riechenden, äußerst giftigen Selenwasserstoff (H2Se, (Mono)selan)). Dessen wässrige Lösung (9,8 g/L bei 0°C) reagiert stärker sauer, als eine Schwefelwasserstoff-Lösung gleicher Stoffmengenkonzentration. Von ihm leiten sich die Selenide ab, salz- bis legierungsartige Verbindungen des Selens mit Metallen, woraus er mittels starker Säuren in Freiheit gesetzt werden kann. Von den höheren Selanen ist bisher nur ein Diselan bekannt.

Selenverbindungen

Cadmiumselenid[4]
Verwendung von Selen und seinen Verbindungen : Elementares Selen und Selenlegierungen:
  • Gleichrichter und Photo-Elemente mit Schichten aus Selen hatten früher weit verbreitete Verwendung. Heute sind sie durch effizientere Konstruktionen aus Germanium oder Silicium verdrängt worden.

  • Belichtungstrommeln in Laserdruckern bzw. Fotokopierern enthalten eine lichtempfindliche selenhaltige Schicht.

  • Dünnschicht-Solarzellen (CIGS) enthalten eine photoempfindliche Schicht aus Kupfer-Indium-Selenid (wobei der Selenid-Anteil mit Schwefel, der Indium-Anteil mit Gallium dotiert ist, um die Bandlücke variieren zu können). Diese zählen zu den aktuell (Februar 2012) effizientesten Solarzellen.

Selenverbindungen:
  • Selendisulfid wird in einprozentiger Konzentration in Antischuppen-Shampoos verwendet,da es eine pilztötende und schuppenlösende Wirkung hat.

  • Glasverarbeitung. Mit Natriumselenit können Gläser rosa bis rot gefärbt werden. Dies kommt durch Reduktion zu elementarem, feinverteiltem (roten) Selen zustande. Der rosane Selen-Farbton wird auch als Rosalin bezeichnet, der rote als Selenrubin. Selenrubingläser werden beispielsweise für das Rot-Zeichen in Lichtsignalanlagen (Verkehrsampeln) verwendet.
Verwendungen von Selen

Rotes Verkehrslicht[5]

Dünnschicht-Solarzelle[6]

Laserdrucker[7]


Biologische Bedeutung von Selen:
L-Selenocystein ist die 21. natürlich vorkommende Aminosäure, und die einzige, die Selen enthält. Die HSe-Gruppe im Molekül der Aminosäure lässt sich leicht zu Se= reduzieren, aber auch zu Dimeren mit -Se-Se- Bindung oxidieren. Beide Reaktionen sind reversibel. Außerdem ist diese Aminosäure ausgesprochen amphoter, weswegen sie auch Säure-Base-Reaktionen eingehen kann. Die Redox-Amphoterie und Säure-Base-Amphoterie lassen diese Aminosäure zu einem wirksamen Bestandteil verschiedener Enzyme werden. Sie gehört zu den essentiellen Aminosäuren. Daher ist Selen ein wichtiges Spurenelement.

Giftwirkung von Selen. In Konzentrationen oberhalb von etwa 3 bis 7 mg/Tag kommt es zum Krankheitsbild der Selenose, welche unter anderem mit Hautveränderungen, Magen-Darm-Problemen, Schwäche, Herzinsuffizienz ua. einhergeht. In noch höheren Komzentrationen haben Selenverbindungen auch akute Giftwirkungen, die im Falle von eingeatmetem Selenwasserstoff durch Enzymblockade (ähnlich wie bei HCN oder H2S) auch binnen Sekunden tödlich sein kann. Eingeatmete Selenverbindungen rufen den Selenschnupfen, Bronchitis oder Pneumonie (Lungenentzündung) hervor. Selenige Säure hat eine Reizwirkung auf die Schleimhäute.

L-Selenocystein
Sonstiges: Prinzip einer Belichtungstrommel: Auf einer Aluminiumwalze wird eine Selenschicht aufgedampft. Fährt man nun mit dieser Walze über ein Papier, welches durchleuchtet wird, so werden Elektronen aus den Se-Atomen herausgeschlagen; die Walze lädt sich an den betreffenden Stellen negativ auf. Fährt man mit dieser Walze anschließend nun über ein Papier, welches mit einer Kohlenstoff-Polystyrol-Mischung beschichtet ist, so bleibt dieses, bedingt durch die elektrostatische Aufladung, an allen belichteten Stellen hängen. Anschließend wird die Kopie gebrannt, wodurch das Polystryrol mit dem Toner fest mit dem Papier verbunden wird. Weiße Flächen des Originials werden somit auch auf der Kopie weiß dargestellt.
Quellen: [1] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: Rob Lavinsky. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.

[2] Eigenes Bild. Dieses Bild darf unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz frei verwendet werden. Bei Verwendung bitte einen Link auf mein Web-Angebot setzen.

[3] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: Bartjk. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.

[4] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: W. Oelen. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.

[5] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: Abenteurer Morane. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.

[6] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: Dantor. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.

[7] Bildquelle: Wikimedia Commons. Urheber: Stehfun. Das Bild ist unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz freigegeben.